Was ist Fortschritt, lässt er sich messen und wenn ja, wie?
Allgemeines
Die Frage, wie Fortschritt zu definieren ist, wird seit langem diskutiert. Für Überlegungen zum Fortschritt ist es wichtig, ein Level an Abstraktheit einzubringen, also herauszuzoomen aus der Projektwelt und zu schauen, was Fortschritt generell bedeutet.
Damit Sie eine Vorstellung davon haben, wie lange hierüber schon diskutiert wird, reicht ein Blick ins antike Griechenland von Platon und Aristoteles. Dort begann man die Begriffe Fortschritt, Entwicklung und Bewegung erstmals getrennt voneinander zu untersuchen. Dabei kam es aber noch nicht zu einer Theoriebildung, mit der weitere Überlegungen sinnvoll angestellt werden konnten.
Geschichte der Überlegungen zum Fortschritt
Überlegungen zum Fortschrittsbegriff in Form ausgearbeiteter Theorien gab es erst vollständig ab dem 18. Jahrhundert mit der Aufklärung. Mit dem von Immanuel Kant geprägten Leitmotto der Aufklärung „Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ sollte der Mensch zu seiner eigenen Vervollständigung gebracht werden. Der Fortschrittsbegriff wurde von den Humanisten damit als gesellschaftlich anzustrebendes Ziel im Sinne des Glaubens an eine zwangsläufige Perfektionierung des Menschen geprägt.
Erst ab dem 20. Jahrhundert, nach zwei Weltkriegen, der Shoa und der Entwicklung nuklearer Waffen kam bei den Denkern auch eine ausgeprägte Skepsis gegenüber dem Fortschrittsbegriff zu tragen. Fortschritt bedeutete damit, besonders durch Theodor W. Adorno kritisiert, die Zuspitzung der Vernunft auf eine Zweckrationalität. Alles was den eigenen Zwecken entsprechend war, war machbar. Das war die Kehrseite der Fortschrittsidee.
Der eher philosophisch orientierte Fortschrittsbegriff der Aufklärung erfuhr im 19. Jahrhundert zudem eine politische und ökonomische Ausweitung, als er in die Alltagswelt eintrat. Damit wurden auch wieder Fragen aktuell, die sich ganz allgemein um die Messbarkeit von Fortschritt drehten. Dabei standen vor allem drei Fragen im Fokus der Überlegungen.
Fragen zur Messbarkeit von Fortschritt
Wozu dient die Messung von Fortschritt?
Welche Maßeinheit soll hier zugrunde gelegt werden?
Welches Messinstrument steht zur Messung zur Verfügung?
Die Messung
Fortschritt kann natürlich oder künstlich sein. Ist er natürlich, findet er in vom Menschen nicht vollständig kontrollierten Bereichen statt, wie der Natur. Künstlicher Fortschritt ist einer, dem ein Kontrollrahmen auferlegt wird. Um Fortschritt messbar zu machen, muss Fortschritt kontrollierbar sein. Diese Kontrolle entsteht durch die Festsetzung des Messrahmens, dem Arbeitsalltag und hier genauer festgelegt auf den Titel dieses Blogbeitrags: dem Projektziel. Durch die Definition seines Messrahmens wird Fortschritt kontrollierbar. Fortschritt im Projektmanagement muss daher an Projektzielen gemessen werden.
Kann man etwas messen, kann man etwas darüber aussagen. Man besitzt Informationen, die sich auswerten und mit anderen vergleichen lassen. Wie und womit misst man jedoch Fortschritt?
Neue Begriffe zur Maßeinheit
Wie misst man Fortschritt? Dafür braucht es einen weiteren Begriff: Leistung. Fortschritt kommt durch eine erbrachte Leistung auf ein vorher festgelegtes Ziel hin zustande.
Einen ersten Ansatzpunkt für die Definition von Leistung bietet die Physik, die sie durch die Formel Arbeit mal Zeit errechnet. Physikalisch misst jedoch niemand wie viel Watt beim Anrufen des Kunden oder bei der Projektdokumentation frei werden. Hier braucht es somit eine gesellschaftliche Definition, die zur Arbeit und der Zeit noch etwas hinzufügt. Man hat sich hierbei auf eine Arbeitsdefinition geeinigt. Wie sich zeigen wird, ist diese Definition keineswegs perfekt. Sie wurde uns von Karl Marx in dessen Werk „Das Kapital“ hinterlassen:
„Die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit.“
Karl Marx, Das Kapital, Dietz Verlag, Berlin 1972, Bd. 1, S. 192. Hervorhebung von MM.
Mit Arbeit einher geht somit eine Veränderung sowohl im
Handelnden als auch im Gegenstand der Handlung. Um nun etwas konkreter zu
werden, versuchen wir nun die Voraussetzungen für die Ausführung der Handlung,
für die Arbeit als solche, einzustufen.
Die Einteilung der Arbeit zur Messbarkeit
Der Prozess der Arbeit kann in einem ersten Schritt eingeteilt werden in (1) Standardzeit bis zur Fertigstellung, (2) Lohnkosten sowie (3) Produktivität (Produktionsgüter geteilt durch Arbeitsstunden). All diese Parameter sind messbar. Sie entsprechen größtenteils den bekannten im magischen Dreieck stipulierten Größen Zeit, Kosten und Leistung. Nachdem die Messparameter jetzt feststehen, stellt sich die Frage nach dem Messinstrument für die einzelnen Parameter:
(1) Für die Standardzeit bis zur Fertigstellung: Erfahrungswerte von Arbeitern über die Zeit hinweg in der Produktion, die zu einem Standardwert errechnet werden. An diesem Standardwert wird dann die Produktionszeit gemessen. Für das Projektmanagement bedeutet das, sich folgende Frage zu stellen: Wieviel Zeit muss eingeplant werden, bis ein Meilenstein als Teilziel erreicht worden ist. Dieselben Überlegungen gelten natürlich auch für das Gesamtziel des Projekts.
(2) Für die Lohnkosten: Hier gelten Gesetze, Tarifverträge, die Kenntnisse der Arbeitenden, Arbeitsanreize durch Zulagen wie Provision, Steuern sowie die Verfügbarkeit des Arbeiters für das Projekt als Maßeinheiten. Gleichzeitig wird eine Einteilung in Fixkosten und variable Kosten notwendig, um am Ende mit einer Vollkostenrechnung realistische Aussagen treffen zu können.
(3) Für die Produktivität: Diese misst sich an der Qualität und der Quantität der Produkte, die in der Standardzeit produziert werden sollen. Wiederum bezogen auf das Projektmanagement beinhaltet das Qualitätskontrollen der Arbeit bis hin zur Abnahme von (Teil-)Ergebnissen sowie die Abstimmungen der vorher festgelegten Parameter wie Budget und Anforderungen mit den entsprechenden Interessenvertretern.
Wichtig ist, dass bei der Projektplanung die im Team vorhandenen unterschiedlichen Erfahrungen und Leistungsfähigkeiten berücksichtigt werden, damit die Ziele realistisch festgelegt werden und deren Erreichung kontrolliert und gemessen werden kann.
Fortschritt im Projekt
Jeder Arbeitsschritt im Projektmanagement muss damit zu seiner Fortschrittseinstufung in die Gesamtberechnung von Zeit, Kosten und Leistung einfließen. Dies geschieht im traditionellen Projektmanagement zu Beginn bei der Erstellung des Projektplans. Im agilen Projektmanagement werden die Ziele und deren Erarbeitung flexibler gehandhabt, weshalb eine sorgfältige Projektdokumentation umso wichtiger wird.
Fortschritt im Projekt wird somit bereits erreicht, wenn ein Meilenstein als Teilprojektziel zur festgelegten Zeit, mit den eingeplanten Kosten und erbrachten Leistungen übereinstimmend erreicht wurde. Messbar wird dieser Fortschritt an den vorher festgelegten Parametern.
Diese sind natürlich Änderungen von außen unterworfen. Mal muss hier etwas gekürzt und da etwas ausgeglichen werden. Die Messung von Teilfortschritten bleibt dabei jedoch stets unerlässlich, damit Rückschlüsse auf das Erreichen des Gesamtziels des Projekts möglich sind.
Tatsächlich muss an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass auch negative Ergebnisse Fortschritte sein können. Erreicht man die Planwerte eines Projektes nicht, dauert es zu lang oder werden nur 90 Prozent der Qualität geliefert, kann das trotzdem ausreichen, um einen Fortschritt zu verzeichnen. Nehmen Sie das Beispiel von allseits bekannten Großprojekten, die substantiell teurer geworden sind.
Welcher Weg soll hier eingeschlagen werden: Alles abreißen, weil X als Ziel nicht erreicht wurde oder X-Y akzeptieren und das Beste daraus machen? Schließlich bleibt es weiterhin unverhältnismäßig, erreichte Ergebnisse rückgängig zu machen, weil die Wirklichkeit nicht mit der Zahl auf dem Papier übereinstimmt.
Vollständigkeit und Perfektion sollten wir den antiken Philosophen überlassen, uns jedoch weiterhin als anzustrebendes Ziel dienen. Dafür müssen Arbeit erbracht und Fortschritt erreicht werden.